Bericht über die Auswanderung der Mendener Familie Harnischmacher im Jahr 1956
Die Broschüren der Australischen Immigration Behörde lockten mit ihrem Motto
„Das Land der unbegrenzten Möglichkeiten“.
Somit wagten auch meine Eltern, Paul Harnischmacher und Anna Elisabeth geb. Ruthenberg Anfang des Jahres 1956, einen Antrag zu stellen.
Schon im August 1956 wurden wir von der Australischen Behörde in Köln zu einer ärztlichen Untersuchung aufgefordert. Damals musste man sich für zwei Jahre verpflichten, da der Australische Staat
einen Teil der Reise zahlte. Wer diese Pflichtzeit nicht einhielt, musste dem Australischen Staat das Geld zurückzahlen.
Ehepaar Harnischmacher
Bildquelle : Anneliese Frank geb. Harnischmacher
Eine zehnköpfige, gesunde europäische Familie wurde in den 50iger Jahren bevorzugt, sodass der Papierkrieg schnell über die Bühne lief. Am 5ten Oktober, bei Nacht, verließen wir mit gemischten Gefühlen unsere Heimatstadt Menden, Richtung Hemer. Von dort ging es um 1 Uhr morgens per Zug nach Hamburg-Altona. Werde diese Fahrt nie vergessen. Der Zug war brechend voll. Nach einer Stunde fand mein Vater wenigsten eine Kabine für meine Mutter und die beiden Jüngsten der Familie. Der Rest der Familie stand aneinandergedrängt wie Sardinen, bis zum nächsten Morgen im Gang des Zuges.
Die Sonne war gerade aufgegangen als der Zug in Hamburg-Altona einlief. Der Wind war eisig kalt und wir Kinder schnatterten wie Gänse. Auf dem Bahnhof stand auch noch ein Herr mit einer Fahne worauf „Castle Felice“ stand. Halbverschlafen gingen wir auf ihn zu. Es dauerte nicht lange und schon waren wir von Auswanderern aus ganz Deutschland umringt.
Von da ging es per Fähre über die Elbe. Für uns Kinder war das unser erstes Abenteuer, denn wir hatten noch nicht einmal den Seilersee mit einem Paddelboot überquert. Nun wurden wir zum Auswanderungslager Finkenwerder gebracht. Man konnte sich weder über das Lager, noch das Essen beschweren. Auch hatten wir Kinder in der kurzen Zeit schon wieder Freunde gefunden.
Nach einem Aufenthalt von 5 Tagen ging es per Zug nach Cuxhaven. Auf dem Weg zum Zug meinte ein Auswanderer: "Der Herr Adenauer sollte uns sehen".
Das italienische Auswanderungsschiff lag schon im Hafen. Als ich das große Schiff sah, wurde es mir unheimlich. Der Blick meiner Mutter war Gold wert. Dazu landeten wir auch noch auf dem C Deck... Treppen, Treppen und nochmals Treppen, es schien kein Ende zu nehmen.
Auswandererschiff Castle Felice Foto: Bordfotograf Walther Nehm
Quelle: Kreisarchiv Nordfriesland
Am 10ten Oktober um 10 Minuten nach 10 Uhr abends lief das Schiff aus dem Hafen aus. Ein Datum das ich nie vergessen werde. Leider wie immer mussten wir Kinder schon nach dem Essen ins Bett... einfach unfair!!!
Die sechswöchige Schiffsreise war für viele Auswanderer ein Gräuel, da viele schon kurz danach seekrank wurden, meine Mutter auch. Zum Glück sind weder mein Vater noch ich als Einzigste in der Familie seekrank geworden!!! Man hatte uns doch in einer Viermannskabine untergebracht. Es gab noch nicht einmal einen Kleiderschrank. Für meine dreijährige Schwester und den 18 Monate alten Bruder gab es je einen Schlafkorb. Sie wurden nie benutzt da die Jüngeren mit uns geschlafen haben.
Wo ein Wille, ist auch ein Weg!
Uns Kindern machte das alles wenig aus. Im Gegenteil wir erlebten ein einmaliges Abenteuer, das man nie vergisst. Nur ein Tag an Bord und schon fühlten wir uns wie zu Hause. Wir haben nette und liebe Menschen kennen gelernt, womit wir sogar nach 50 Jahren noch Kontakt pflegen.
Büro des Migrant Advisory Service auf der Castle Felice
Foto: Bordfotograf Walther Nehm
Quelle: Kreisarchiv Nordfriesland
Die „Castle Felice“ legte nur kurz im Hafen von Valletta, Port Said und in Aden an. Wie immer durften wir jüngeren Kinder nicht mit an Land und darüber waren wir ganz schön böse. Zu unserem Glück war es das zweitletzte Schiff, das noch durch den Suez Kanal gelassen wurde. Ansonsten hätte das Schiff Kurs Richtung Kap der Guten Hoffnung Südafrika nehmen müssen. Kurz danach fielen schon die ersten Bomben. Man konnte es noch im Roten Meer hören.
Von Aden ging es mit Volldampf Richtung Australien. Am 7ten November legte die „Castle Felice“ für ein paar Stunden in Fremantle, West Australien's Hafen an. Hier betraten wir Kinder mit unserem Vater zum ersten Mal den australischen Boden. Es war ein sehr heißer Tag und Fremantle war so trostlos. Als ich eine Reihe von Schulkindern, schwarz gekleidet mit Koffern vorbei gehen sah, war ich überzeugt, daß sie von einer Reise zurückkehrten.
Als ich dann selber in die australische Schule eingeschult wurde, dachte ich oft an meine Naivität zurück. Denn hier musste jeder die Uniform der Schule tragen, in welcher man eingeschult war. Anstatt Tornister gab es nur Koffer. Fremantle hinterließ keinen guten Eindruck.
Am 12ten November erreichten wir unser Ziel. Spät abends verließen wir den Melbourner Hafen. Von da ging es per Zug und Bus ins Einwanderungslager Bonegilla, Victoria. Es war bereits Mitternacht als man uns endlich in die Baracken einquartierte. Als Großfamilie bekamen wir eine eigene Baracke. Die Zimmer waren karg, mit je zwei Betten und einem Kleiderschrank. Die Kissen waren hart. Es gab nur eine Wolldecke pro Bett.
Familie Harnischmacher im Einwanderungslager Bonegilla Hostel
vorne von links:
Gerhard Wilhelm, Beate, Jutta Theresa und Anneliese,
2.Reihe von links: Helmut, Helga, Mutter Anna, Elisabeth und Ursula Karola,
3.Reihe von links: Vater Paul und Paul Georg.
Quelle: Anne Frank geb. Harnischmacher
Nachts ist es in Viktoria im November schon kalt und wir haben alle gefroren. Die Wände waren so dünn, das wenn einer nieste oder hustete, er die ganze Familie aufweckte. Obwohl die Nächte kalt waren zu dieser Zeit, war es tagsüber heiß.
Auf dem Schiff waren wir mit einem italienischen Menü total verwöhnt worden. Das Essen war Klasse. Nun bekamen wir einen großen Schock. Das australische Menü war wie bei den Soldaten. Unser Frühstück bestand aus Haferflocken ohne Milch, aber man konnte es genießen. Sieben Tage Hammelfleisch entweder mit Kartoffeln oder Reis (ohne Milch) und Gemüse, nur in Salzwasser gekocht.
Man sagt doch, der Hunger treibt es hinein. Nur der Geruch des Hammelfleisches, und der Appetit blieb aus…. Noch heute kann ich nicht einmal Lammfleisch essen, immer erinnert es mich an den Geruch des Hammelfleisches. Wir Deutsche mussten uns gewaltig umstellen.
Mein Vater und mein ältester Bruder wurden schon nach ein paar Tagen Aufenthalt ins Auswanderungslager, Villawood Neu Süd Wales weiter geleitet. Es liegt im westlichen Vorort von Sydney. Man hatte für beide schnell eine Arbeitsstelle in einer Glasfabrik gefunden. In einem Brief hatte mein Bruder uns eine Skizze von den Baracken des Auswanderungslagers geschickt.
Wieder ein Schock...
Nach zwei Wochen Aufenthalt in Bonegilla wurden wir per Zug nach Villawood weitergeleitet. Der Zug der uns nach NSW bringen sollte, gehörte mehr zum Wilden Westen als ins 20te Jahrhundert. Erstens hatte er weder Türen noch konnte man die Fenster schließen. Wieder gaben sie uns eine Viermannkabine. Einen Kofferraum gab es auch nicht, so mussten wir die Koffer zwischen die Sitze quetschen.
Die Fahrt war furchtbar lang und langweilig. Die Landschaft so öd und leer. Ab und zu gab es mal einen Baum oder einen Strauch zu sehen, ab und zu eine einsame Hütte. Sonst nichts... Eine öde Landschaft. Trockenes Land und nochmals Land. Nachts schliefen wir Kinder auf den Koffern, denn wir waren so müde ...
Als wir im Villawood Hostel ankamen war die Freude unseren Vater und den Bruder wiederzusehen groß.
Als wir die Nissenhütten sahen, lies die Freude nach. Am liebsten wären wir sofort nach Deutschland zurückgegangen.
Zwei Jahre mussten wir leider durchhalten.
Wie in Bonegilla bekamen wir wieder eine eigene Baracke. Die Zimmer waren genau so karg und leer eingerichtet. Dazu zogen die Wellblechhütten die Hitze an. Wenn es regnete dröhnte es so stark, dass man sich nicht verständigen konnte. Die Kost war wenigstens ein bisschen besser im Vergleich zu Bonegilla.
Denn der Hunger treibt es hinein...
Im Villawood Hostel wohnten wir ungefähr 14 Monate. Anfang Januar 1957 wurden wir drei Schulkinder in Chester Hill (einem Vorort in der Nähe des Hostels) eingeschult. Es dauerte nicht lange und
schon hatten wir eine Menge Kinder zum spielen. Ein plus für uns.
Mutter und Ursula Karola in Villawood Hostel
Bildquelle: Anne Frank, geb.Harnischmacher
Sobald meine Eltern eine große, nicht zu teure Wohnung fanden, zogen wir nicht weit weg von unserer jetzigen Eigentumswohnung entfernt, hier nach Guildford NSW. Das Haus war für eine kinderreiche Familie groß genug, aber sehr alt. Das schönste war, wir wohnten jetzt genau hinter dem einzigstem Geschäft weit und breit. Für uns Kinder war das sehr wichtig!
Obwohl meine Mutter am Anfang die Glücklichste war, auch im Hostel, denn dort hatte sie fließendes Wasser, es gab eine Waschküche, Bad und Brause, alles in der Nähe. Nun änderte sich ihre Einstellung. Bei brüllender Hitze musste sie lange auf einem Holzofen kochen, bevor der Hausherr endlich einen elektrischen Ofen installieren ließ.
All dieses bemerkten wir Kinder nicht.
Wir hatten ja jetzt in den Schulen unsere eigenen Probleme. Schuluniform Pflicht.
Bildquelle: Anne Frank, geb.Harnischmacher
Bildquelle : Anne Frank, geb. Harnischmacher
67 Princes Street, Guildfort NSW 2161 Sydney Australia
Inzwischen hatten sich mein Vater und mein Bruder in der Bauindustrie eingearbeitet. (Über die Jahre, haben sich alle meine drei Brüder in dieser Branche selbstständig gemacht). Nur mit diesem Verdienst konnten sich meine Eltern eine Eigentumswohnung leisten. Im Juli 1960 hatte ich eine Lehre an der staatlichen 'Commonwealth Bank Australiens' begonnen, was für meine Eltern ein Vorteil war, denn mein Vater war inzwischen 48 Jahre und meine Mutter 40 Jahre alt.
Nach und nach verließen dann meine Geschwister das Elternhaus, um ihre eigenen Familien zu gründen. Drei Geschwister wohnen noch in Neu-Süd-Wales. Eine Schwester in einem Vorort von Perth W.A. Der Rest meiner Geschwister lebt im sonnigen, subtropischen Queensland.
Die Anglo-Australische Geschichte feierte 1988 ihr 200jähriges Jubiläum. Der englische Forscher, James Cook hatte ja 1770 die Süd-Westliche Küste Australiens entdeckt. Erst 18 Jahre später gründeten die Briten hier eine Strafkolonie. Etliche Jahre vergingen bevor das Land besiedelt wurde.
Paul Georg Harnischmacher und
Ehefrau Ulla geb.Kierum
Bildquelle: Ulla Harnischmacher geb.Kierum
Diese Auswanderer hatten es viel schwerer. Viele haben ihre neue Heimat nie kennen gelernt.
Die Landessprache ist daher Englisch, aber mit einem distinktiven Ozzie Akzent. Hier liebt man das 'outdoor' Leben. Sei es am Strand, im Park oder im Busch. Fast zur jeder Jahreszeit grillt der Australier, mit einen Karton Bier und ihren Steaks am Bratspieß. Erst in den letzten Jahren besuchen sie das Theater oder die Oper. Die Australier sind vernarrte Sportler und leidenschaftliche Glücksspieler. Nehmen das Leben leichter als wir Deutschen.
Ihr Motto heißt 'take it easy' (nimm es leicht)...
Ungefähr vier Prozent der Bevölkerung ist deutscher Abstammung. Daher gibt es zahlreiche deutsche Vereine, deutschsprachige Kirchengemeinden, deutsche Chöre, sowie eine deutsche Sonnabendschule. Nach etlichen Mühen wurde dann in Blacktown (20min von uns entfernt) auch die deutsche Gutenberg Schule gegründet. 'Die Woche' ist eine deutsche wöchentliche Zeitung. Man kann überall deutsche Magazine kaufen (leider drei Monate alt). Selbst das Radio und Fernsehen sorgt für deutsche Unterhaltung. Zurzeit werden die Serien, Inspektor Rex und Brunswick und Bernstein gebracht. Meine Mutter und ich sind davon begeistert, besonders von Inspektor Rex!
Australien das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, sollte es eher das Land voller Gegensätze genannt werden! Dürre - Flut, Busch - Dschungel - Wüste. Kaum vergeht ein Jahr wo nicht irgendwo ein Buschfeuer brennt. Nicht nur die australische Flora und Fauna leiden darunter, sondern zahlreiche Familien haben schon Hab und Gut verloren. Es ist der trockenste Kontinent der Welt, obwohl es von Wasser umringt ist. Die meisten Einwohner leben an den Küsten. Im Innern des Landes gibt es Schaf und Kuhfarmer die ihr Land in einem Tag niemals übersehen können. Wenn mal wieder die Dürre eintritt tun einem die Tiere leid...
Australiens Flora und Fauna ist so eigenartig wie ihre Ureinwohner, die Aborigines. Viele Stämme leben wie Steinzeitmenschen im Arnhem Land (im oberen Teil des Northern Territory) auch heute noch. Australien ist reich an Bodenschätzen, die Opale sind weltberühmt. Leider ist es auch reich an giftigen Spinnen, Schlangen und Seetieren.
Am 12ten November 2006 waren wir nun schon 50 Jahre in Australien. Mein Vater ist inzwischen gestorben (am 8tenJanuar, 1994 im hohen Alter von 81 Jahren). Zu der Zeit war ganz NSW total von Buschbränden umringt. Ich war zu der Zeit in Queensland bei meiner Schwester auf Urlaub und musste per Flug zurückkommen.
Nicht alle aus meiner Familie haben sich akklimatisiert. Ein zurück gibt es trotzdem nicht. Wir haben uns zu viel an die freie Lebensart der Australier und das schöne Wetter gewöhnt.
Nach zehn Jahren wagte ich als erste alleine Australien den Rücken zu kehren und wagte eine Schiffsreise durch den Panama Kanal - Richtung Heimat. Als ich dort an kam war meine Freude groß. Doch
es dauerte nicht lange und schon fühlte ich mich als Fremde in der Heimat. Hatten sich die Mendener so dramatisch verändert? Oder war ich es? Nach sechs Monaten flog ich mit einer Boing 727
wieder Richtung Sydney Australien, da ich meine Familie zu sehr vermisste.
Anne und Sohn Joshua Frank
Mutter Anna Harnischmacher, geb. Ruthenberg
für beide Bilder Bildquelle:
Anne Frank, geb.Harnischmacher
Auch Australien hat sich während der Jahre dramatisch verändert. Sydney ist nun eine Weltstadt geworden, die nie schläft. Als wir 1956 ankamen lag Sydney noch im Dornröschenschlaf! Das Opernhaus und die Hängebrücke überragen einen wirklich wunderschönen Hafen.
Bildquelle: © Meinolf Droste
Für mich ist Sydney die schönste Stadt Australiens, aber Menden ist und bleibt die schönste Stadt der Welt.
Um die Weihnachts- und Osternzeit überkommt mich automatisch das Heimweh. Vermisse meine Heimatstadt Menden und die Menschen meiner Jugend...
Ihre Anne Frank geb. Harnischmacher
Seit November 2008 lebt Anne Frank mit Sohn Joshua und Mutter Anna Harnischmacher nun in
8 Goltz Court, Gatton, Queensland.
Am 24. November 2009 ist die Mutter Anna Harnischmacher geb. Ruthenberg in Gatton Queensland verstorben.
weitere Infos zu den Vor- und Nachfahren der Familien Harnischmacher – Ruthenberg
bei Wolfgang Kißmer
Kontakt:
Wolfgang Kißmer
Wasserstrasse 14
58706 Menden
Tel: 02373-2953